Vorwort & Vorspiel

 



Vorwort

von Dr. Roland Mahler

Theologe, Psychotherapeutischer Psychologe MSc


Dem Leben vertrauen – eine einfache und klare Botschaft in einer Zeit, in welcher eben dieses Leben komplex und kompliziert erscheint, seine Formen unklar und seine Inhalte fragwürdig sind. Mit den Texten dieses Buches wird ein Weg markiert, der als solcher nicht ein für allemal gebahnt vor uns liegt, sondern der für jedes Individuum eine Suche und ein Forschen bedeutet. Gerade beim Suchen helfen freilich die Markierungen, welche uns hier als Hilfe zur Orientierung gegeben werden. Sie sind in grösseren oder kürzeren Abständen zu finden und geben jedem auf seinem Weg das Gefühl, nicht alleine zu sein auf seinem Weg. Gerade darin liegt die Stärke dieser Gedanken! Sie legen nicht fest und engen nicht ein, sie sind in keiner Weise als Belehrung und Besserwisserei gemeint. Vielmehr versuchen sie Leinen auszuwerfen, die man aufgreifen und an denen man sich halten und so zu einem bestimmten Punkt gelangen – die man aber auch einfach ignorieren und beiseite lassen kann!

Dem Leben vertrauen, heisst stets einer Unmittelbarkeit vertrauen, die hinter all dem Mittelbaren und Vordergründigen des Daseins liegt. Dieses Unmittelbare heisst oft Gott. Auch dort, wo der Gottesname nicht verwendet wird, geht es um dasselbe, das uns direkt und ohne Vermittlung angeht, das uns so betrifft, dass - wenn wir uns darauf einlassen – es uns zugleich ganz zu uns selbst und über uns hinaus bringt. Hier geht es nicht um Religion oder Religiosität, sondern um ein Stück Selbsttranszendenz, um den Blick auf uns selbst in einem definitiv grösseren Zusammenhang, der uns in die Mitte bringt und uns aufgehen lässt in einem Ganzen.

Die Gedanken des Autors sind Ausdruck seines eigenen Weges, seines Vertrauens in das, was sich ihm als Leben ereignet. Nicht nur helle und strahlende Szenerien, sondern auch viel Dunkles oder Graues, das mehr verhüllt als es offenbart. Leben ist eine Wirklichkeit, die nach Hingabe ruft. Letztere aber bedingt Vertrauen, welches seinerseits durch Treue genährt wird. Dass es im Leben oder besser: auf dem Lebensweg so etwas wie Treue gibt, scheint alles andere als selbstverständlich zu sein. Im Vordergrund stehen nicht selten Veränderung und Verlust. Das Schicksal schlägt gnadenlos zu und lässt uns oft sprachlos vor Schmerz und Wut. Dass es dabei eine Treue gibt, welche das Vertrauen ins Leben trägt, erschliesst sich nur durch Achtsamkeit, durch geschulte, geübte und verinnerlichte Wahrnehmung von Zeichen, die sich nicht aufdrängen, von Tönen, die nicht in unseren Ohren gellen, von Emotionen, die nicht überwältigen, von Offenbarungen, die uns nicht entrücken. Hier versucht ein Mensch ein Zeugnis zu geben von scheinbar Banalem, Unspektakulärem und gerade deswegen Einzigartigem und Unerhörtem. Nur wer sich auf den Weg der Achtsamkeit begibt – wie er immer ihn auch nennen mag im Horizont seiner eigenen Tradition und Sozialisation – wird Zeuge dieses Wertewandels, wird im Nichts alles erkennen, um darob zu verstummen. Oder er wird sein Wort finden, seine Sprache, welche ihn verstehen lässt.

Sei es die endgültige Überwindung des Schmerzes oder die Zuversicht, im Schmerz nicht alleine zu sein – die Hoffnung auf Trost selbst ist es, welche den Weg in die Zukunft weist. Keine blosse Utopie, sondern eine Gewissheit des Herzens, die uns Mut gibt in der Realität unseres Alltags, die uns an uns selbst und an das Menschsein glauben lässt, die uns die Kraft gibt, Schritt für Schritt weiter zu gehen, mit Liebe zum Unscheinbaren in Erwartung des Grossen, mit dem Sinn für den Augenblick im Bewusstsein des Ewigen. Nichts Abgehobenes und dennoch von grosser Tiefe, so locken uns die Worte des Verfassers in unser eigenes Inneres, in die Begegnung mit den eigenen Motiven und Sehnsüchten, in die pure Gegenwart des Lebens.

Christliche und buddhistische Begrifflichkeit begegnen und ergänzen sich in den Texten dieses Büchleins. Dies mag für religiöse Puristen und Dogmatiker ein Ärgernis darstellen, es sollte den Herzensleser aber nicht irre machen, vielmehr möge er darin jene Wegmarken erkennen, welche ihn genau dorthin führen können, wo er selbst hingehört.

Winterthur, im Februar 2015



Vorspiel

Die 21 Kapitel der vorliegenden Schrift spannen einen Bogen vom Schmerz und von den Abgründen des Lebens zu einem Leben in Frieden und verantwortungsbewusster Freiheit.

Hierbei vertrete ich eine vollständige Subjektivität spirituellen Erlebens und die Abhängigkeit der Deutung solchen Erlebens von Kultur, Erziehung, Religion usw.

Im Anhang wird das frühbuddhistische Achtsamkeitstraining (Satipatthana) vorgestellt und im Kontext unserer christlich geprägten Kultur kurz erläutert und der Autor beschreibt seinen spirituellen Weg. 

Ein spezieller Dank geht an meine Lebensgefährtin Nicole Kormann, an meinen ersten Satipatthana-Lehrer Mirko Frýba, an meinen „älteren Bruder“ und Freund Johannes Oberteufer, an Roland Mahler für sein hilfreiches Mentoring und das Vorwort und an Matthias Sägesser für die tollen Illustrationen.  

Gerne nehme ich persönliche Rückmeldungen zu dieser Schrift entgegen, denn wachsen und reifen kann der Mensch nur am Gegenüber, am Du, dem er sich aussetzt indem er sich ihm offenbart.

„Dem Leben vertrauen – der innere Weg“ ist eine Offenbarung meines Herzens und meines Geistes, meines Fühlens und Denkens. Den Widerhall dieser Offenbarung erwarte ich mit Freude und Spannung.

Ulrich Kormann


Weinendes Kind

 




1       Weinendes Kind


Draussen scheint die Sonne nun plötzlich klar…


Bin kein Weiser nicht heilig 

auch nicht erwachsen

oh Mensch!

und will es nicht sein

 

In diesem Moment bin ein weinendes Kind 

ich in der Stadt

hab’ die Mutter verloren allein steh’ ich da

versunken in meine Tränen

 

Vor mir die Zeiger der Uhr sie wandern

tickend ohn’ Unterlass 

nie Rast nie Ruhe 

die Hetze geht weiter


Gewimmel-Getümmel

vorbei an weinenden Kindern

vorbei an lebenden Toten

vorbei an Tränen von gestern

und  Träumen von morgen

vorbei am suchenden Menschen

 

Die Sonne

- so kurz geh’n Momente -

ist weg

 

Des Himmels blau gewandelt ist’s grau

lässt Tränen tropfend in Träume hinein

die Quelle versiegen

und trocknen die Erde rein

 

Weinende Kinder -

siehst du ihre Tränen nun wirklich nicht?

 

Da sitz’ ich also

- ein Kind - dieser Stadt

das Weinen ver-siegt die Augen noch rot

schau’ ich um mich und sehe die Not

 

Kinder - nur Kinder -

im reissenden Strom der Tränen und

über den Wassern

der Traum ist tot [1] 

                         

Eben noch bestätigten das Grau des Himmels und der Regen deine depressive Grundstimmung und du fühltest dich berechtigt im Trüben zu fischen und dem Dunkel zu frönen. Aber schon scheint draussen die Sonne und nun bist du allein mit dem Dunkel in deinem Innern und die Klarheit aussen erscheint als eine Anklage gegen dein Fischen im Trüben. Du wirfst die Anklage zurück an die Sonne und an die fröhlichen und lachenden Menschen um dich herum. Was müssen sie auch so scheinheilig tun als wäre das Leben nur eitel Sonnenschein? Sonne und Freude erkennst du als Heuchelei, als Leugnung des Dunkeln und des Trüben das du erlebst. Draussen scheint die Sonne nun plötzlich, klar…

Du weißt, es ist nicht weise, im Trüben zu fischen. Du weißt, es ist nicht heilig, Sonne und Freude der Heuchelei und der Lüge zu bezichtigen. Du weißt, es ist kindisch, dich so zu verhalten und dein kindischer Trotz sagt: „Genau so will ich es: Ich will weder weise, noch heilig, noch jemals erwachsen sein! Mit eurer lächerlichen Pseudofröhlichkeit habe ich nichts zu schaffen und von der Sonne lasse ich mich nicht mehr zu einer Hoffnung verleiten die im unvermeidlich kommenden Regen nur wieder ersäuft wird.“

Deine Arroganz, deine Aggression, deine Wut gegen alles Gute, Schöne und Wahre wurzeln in tiefen Enttäuschungen und Verletzungen eines hilflosen Kindes. Das bist du: Ein weinendes Kind, schreiend, wütend um sich schlagend in der grossen anonymen Stadt. Im Angriff dein Angegriffensein verbergend.

Es ist dir peinlich. Du hast gross angegeben, wie du weder weise, noch heilig, noch erwachsen sein wollest, und nun klagst du die Sonne und die Freude der andern Menschen an und nennst sie Lügner und Heuchler. Es ist wahr: Du hast die Mutter verloren. Vielleicht hat sie dich verlassen, aber wahrscheinlicher noch hast du sie verlassen. Doch wie auch immer: Es ist genau richtig so. Hättest du dich entschieden weise, heilig und erwachsen zu sein, dann würdest du keine Verlassenheit erleben, so aber willst du die Verantwortung für dein Leben nicht übernehmen und belässt sie stattdessen bei deiner Mutter. Nun ist die Mutter fort und mit ihr die Verantwortung für dein Leben. Ja, was jetzt? Da ist ein Leben, dein Leben, dein Erleben, und keiner ist dafür verantwortlich. Was jetzt?

Du bist allein. Diese Erfahrung, dieses Erleben ist existenziell. Du bist allein. Mitten im Menschengewühl einer Grossstadt dieser Erde – es kann auch ein kleines Dorf sein, das macht keinen Unterschied – bist du vollkommen allein. Darin  erlebst du Wahrheit. Deine Tränen aber kommen nicht aufgrund des Alleinseins, sondern aufgrund der Erfahrung von Einsamkeit. Dass du allein bist, das ist wahr, das ist echt, und wärest du bereit, weise, heilig und erwachsen zu sein, dann würdest du das Alleinsein als eine Gnade und einen Segen erleben. Aber du bist es nicht, bist nicht weise, nicht heilig, nicht erwachsen und willst es auch nicht sein. Also übernimmst du nicht die alleinige Verantwortung für deine Existenz und so bist du nicht nur allein, sondern zudem auch noch einsam. Die Erfahrung der Einsamkeit entsteht in deiner Zurückweisung der Verantwortung. Verantwortungslos stehst du da, versunken in deine Tränen. Einsam ausgeliefert dem Ablauf der Zeit. Wozu? Wohin? Äonen verstreichen, nichts ändert sich.

Ameisenmenschen um dich herum. Die Zeit, gerade eben innerlich erlebt noch äonisch langsam zerrinnend, jetzt, aussen erkannt, in wahnsinnigem Zeitraffertempo dahin-hetzend, hält dich zum Narren. Sie gaukelt dir vor sie käme von damals und gehe nach dann und du kämest mit ihr aus der Vergangenheit und gehest mit ihr in die Zukunft. Dann wieder scheint es dir, die Zeit, auch deine Zeit, käme aus der Zukunft auf dich zu nur um sogleich in der Vergangenheit zu entschwinden. So erlebst du die Zeit als eilend…

Du erlebst die Zeit als ausserhalb deiner selbst. Deine Zeit steht still. Du bist im Zentrum des Hurrikans, der um dich herum tobt, während du im Auge der Stille sitzt und dem chaotisch wirbelnden Geschehen zuschaust. Vorbei eilt die Zeit an dir, dem weinenden Kind, und an all den anderen weinenden Kindern, die du nun um dich herum erkennst. Schon bist du nicht mehr so einsam. Irgendetwas ist geschehen.

Was ist geschehen? Du siehst lebende Menschen als tot. Wie Marionetten treibt sie die Zeit an dir vorbei. Schemen wie Halluzinationen. Gestossen von der Vergangenheit, gezogen von der Zukunft, getrieben von der zerrinnenden Zeit.

Das ist geschehen: Du erkennst die Illusion der zerrinnenden Zeit. Alles Gestern, alles Vorher ist vorbei. Alles Morgen, alles Danach kommt erst noch. Beide sind Schemen, existieren nur in deiner Vorstellung. Dein Klammern an Vergangenes und Künftiges lässt dich unfrei sein. Dein Schieben der Übernahme der Verantwortung für dein Erleben in die Vergangenheit oder in die Zukunft ist ein reines Gedankenspiel, ohne Realitäts-bezug, ohne Wirklichkeitsgehalt. Hier bist du: Du, der das Gute, das Schöne und das Wahre suchende Mensch. Die Zeit eilt…

Die Zeit ist Illusion. Suche nicht in ihrem Ablauf nach der Wahrheit. Die Zeit ist der tobende Hurrikan, alles mit sich reissend und zerstörend. Die Wahrheit, die Schönheit, die Güte findest du im Auge des Hurrikans, dort wo umgeben von Dunkelheit und lärmendem Chaos die Sonne scheint und völlige Stille ist. Dort ist die Zeit, die nicht Illusion ist, die Zeit, die nicht kommt und geht. Diese Zeit trägt den Namen „Jetzt“ und der Ort, an dem sie ist, trägt den Namen „Hier“. Wenn du noch suchend bist, wenn du noch nicht gefunden hast, dann suche nirgendwo anders als hier und jetzt, denn nirgendwo sonst ist Wahrheit, nirgendwo sonst ist Wirklichkeit. Hier und jetzt scheint die Sonne, hier und jetzt strahlt das Licht der Güte, hier und jetzt sind Schönheit und Freiheit. Sie waren niemals und werden niemals sein, wenn nicht hier und jetzt.

Vorbei das Weilen in der Stille und im Licht im Zentrum des Zyklons. Vorbei auch das tobende Chaos. Zwielicht…

Kein Licht, keine Sonne, kein Orkan, kein Leben, das den Namen verdienen würde. Grau in grau erlebst du die Einheit von Innen und Aussen. Vorbei die Kluft, zu Ende die Spaltung. Doch freudlos wird die Einheit erlebt: Des Himmels Blau, gewandelt ist’s grau…

Tränen enttäuschter Hoffnungen und unerfüllter Erwartungen tropfen in deine Träume und Visionen von Zukunft und ertränken sie im Trank der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit. Vorbei die Zeit der Illusionen. Die Quelle von Unwissenheit und Ignoranz versiegt angesichts der Wirklichkeit und trocknet das Irdische rein von unnötigem Leiden.

Du siehst die Tränen der Menschen erst dann wirklich, wenn du ihren Ursprung, ihre Quelle, in dir selber gefunden hast. Die Quelle ist die Missachtung der Seinsgesetze. Das Gesetz der Vergänglichkeit ignorierst du und klammerst dich an Vergängliches. Das Gesetz der Unzulänglichkeit, der Leidunterworfenheit ignorierst du und klammerst dich an Leidunterworfenes. Das Gesetz der Ich- und Selbstlosigkeit ignorierst du und klammerst dich als Besitzender an Besitz. Wenn du dies einmal tief erkannt und akzeptiert hast, dann weißt du, was Leben ist. Wenn du weißt, was Leben ist, wenn du vollständig akzeptierst, dass Leben nichts anderes ist als Sterben, und Sterben nichts anderes als Geborenwerden, dann weißt du auch aus erkanntem Erleben was Leiden und was Leidfreiheit ist. Dann verstehst du die Menschen und ihre Tränen ebenso wie ihre Fröhlichkeit und ihr Lachen.

Still geworden im Zentrum des Zyklons. Ordnung und Chaos erlebend erkannt. Was du jetzt siehst ist die eigentliche, die einzige, die wahre Not der menschlichen Existenz: Die ignorante Unwissenheit bezüglich der Gesetzmässigkeiten des Lebens. Und du siehst keine bösen Menschen mehr, keine Verbrecher, keine von einem willkürlichen Tyrannen zu ewiger Qual verdammte Sünder, nichts dergleichen. Was du jetzt siehst sind nur unwissende, hilflose, leidende Kinder. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“ hat vor zweitausend Jahren einmal ein Sehender für sie gebetet.

Das Ende der Illusionen. Die Sicht auf die Wirklichkeit wie sie ist. Unverfälscht. Nackt. Gesegnet bist du, wenn du diese Sicht erträgst. In reiner Gnade lebst du, wenn du das Ende aller Illusionen erlebst. Traumlos lebst du so. Erwacht.



[1] Tagebuch, 2. März 1982

Abgrunds Wege

 




Lied:
ABGRUNDS WEGE

2       Abgrunds Wege

 

Dunkel sind des Abgrunds Wege

Musst du sie gehen, gehe rege

Schau nicht hinab und bleib’ nicht stehen

Willst du den Morgen wieder sehen

 

Lass’ die Schatten kommen und geh’n

Beachte sie nicht und lass’ sie verweh’n

Denn willst du mit ihnen tändeln und lachen

Werden sie sich vertausendfachen

 

Sie werden dir schmeicheln und werden dich locken

Sie werden lustvoll im Wahn frohlocken

Sie werden dich binden, sie werden dich knebeln

Sie werden dich in den Abgrund hebeln

 

Dunkel sind des Abgrunds Wege

Musst du sie gehen, gehe rege

Schau nicht hinab und bleib’ nicht stehen

Willst du den Morgen wieder sehen [1]

  

Es kommt vor auf deiner Lebenswanderung, dass du einen grauenhaften Abgrund entlang wandern musst. Solche Abgründe gibt es unzählige, und viele lassen sich einfach nicht vermeiden, weil der einzige Weg genau an ihrer Kante verläuft. Wenn du ein Leben leben willst das diesen Namen verdient, dann fürchte dich nicht vor den Abgründen. Fürchte dich nicht, aber behandle sie mit grösster Achtung, mit grösstem Respekt. Sie sind gefährlich, sie können vernichten.

Auf einem Drogentrip spazierte ich über die Kornhausbrücke in Bern. Da hörte ich meinen Namen rufen. Zuerst nur sanft und leise, dann immer eindringlicher. Die Stimme kam von unten, von der Aare. Ich beugte mich über die Brüstung und noch eindringlicher wurde von unten mein Name gerufen. Da hob ich mein linkes Bein über die Brüstung. Schon sass ich halbwegs auf der Mauer, als ich mit einem Schlag erwachte und meine Absicht erkannte: Ich war drauf und dran der Stimme zu folgen und mich in den Abgrund zu stürzen. Ein riesiger Schrecken erfasst mich und ich rannte, rannte über die Brücke und bis nach Hause. Erst Jahre später wurde mir klar, dass die Brücke und ihr Abgrund Sinnbild waren des eigentlichen Abgrunds, dem entlang ich zu jener Zeit gewandert bin: Dem Abgrund mit dem Namen „Drogen“. Wie ich auf der Kornhausbrücke mit dem Schrecken davon-gekommen bin, so auch bezüglich des Drogenkonsums. Aber nicht jedem ergeht es so, viele erwachen nicht aus dem Traum und gehorchen den Schattenstimmen ohne deren wahre Natur zu erkennen.


(Mundart-) Lied:
BEIZE-BLUUS
(Uelis Dirty Mundart
"Live im Zyhl" / 2000 )

Es gibt viele Schattenstimmen die zu dir sprechen. Es ist nicht leicht, sie von den Stimmen des Lichts zu unterscheiden. Das braucht Übung und ein klares Bewusstsein. Nur dann ist es möglich, die Schatten furchtlos kommen zu lassen, ihnen zu begegnen und sie ohne Halten weitergehen zu lassen. Wenn du es schaffst, ihnen keine unnötige Beachtung zukommen zu lassen, dann werden sie verwehen, sie werden vergehen wie Dunkelheit die von Licht berührt wird.

Egal ob es sich um Schatten der Gier, des Hasses oder der Verblendung handelt: Sobald du mit ihnen liebäugelst, und sei es nur so zum Spass, werden sie sich ungehindert und rasant vermehren. Vieles, was du unternimmst, im Glauben damit deinen Daseinsschmerz zu lindern, entpuppt sich so als ein Fass ohne Boden, als ein Abgrund der dich tiefer reisst und dir statt Leidbefreiung nur mehr und mehr Leiden schenkt.

Strebe nach einem Sein im Licht. Suche nicht Schatten und Dunkelheit, denn diese haben kein wahres Sein, keine eigene Existenz. Halte dich an das Gute, Schöne und Wahre.



[1] Tagebuch, 15. September 2007

Gefängnis aus Glas

 


Zum (Mundart-) Lied
(CD "Uelis Schrot" 2007)




3       Gefängnis aus Glas

 

Anlässlich eines Seminars während des Studiums in Sozialtherapie wurde uns eine leere Mineralwasserflasche gegeben mit dem Auftrag, daraus etwas Kreatives zu schaffen. Es war sehr eindrücklich zu sehen, wie fantasiereich die einzelnen Studenten die Aufgabe meisterten. Mein Beitrag war das Lied „Gefängnis aus Glas“[1]. Ich habe die Flasche eine Weile angeschaut und plötzlich sah ich mich selber darin, als kleines Menschlein, gefangen in diesem Kerker aus Glas.

Das Gefängnis aus Glas ist der im vorherigen Kapitel beschriebene Abgrund. In dieses Gefängnis fällst du, wenn du zu lange in den Abgrund blickst, wenn du dich von der verlockenden Stimme die dich ruft und dir Versprechungen macht verführen lässt. Das Gefängnis ist das Süchten des ichzentrierten Menschen, sein Verlangen nach Besitz, sein Habenwollen, sein Erlebenwollen. Die Objekte dieser Begierde sind so vielfältig wie es die Wünsche der Menschen sind: Geld, Macht, Ruhm, Rausch, Betäubung, Sex, Arbeit, Freizeit, Religion… alles kann dich mit sanften Stimmen rufen und in den Abgrund der Abhängigkeit locken.

Das war mein Bild: Das Bild des gefallenen Menschen in einem Gefängnis aus Glas.

Der Abhängige, Süchtige, sieht wohl das Leben um sich herum noch, ist aber von ihm wie durch die unsichtbare Wand seiner Gefangenschaft getrennt. Und dieses Getrenntsein vom freien, vom frei fliessenden Leben wird erlebt als zunehmende Kälte und Starre, vorausgesetzt die Selbstwahrnehmung von Geist und Herz ist noch nicht vollständig zum Erliegen gekommen.

Wenn du dich als gefangen erkennst und der Wunsch nach Befreiung in dir laut wird, dann sind dein Geist und dein Herz noch lebendig, dann ist deine Selbstwahrnehmung noch intakt. Was kannst du tun? Wie kommst du aus der Flasche heraus?

Du erkennst vielleicht, es wird dir bewusst, dass du nicht erst seit gestern in dieser Flasche sitzt. Du warst zuwenig achtsam, zu wenig bewusst, du dachtest, die Stimme im Abgrund sei echt, sei wahr, und wenn du ihr folgtest, würde sie dich reich belohnen mit Glück und Wohlergehen oder sie würde zumindest deine Leiderfahrung betäuben. Nun erkennst du, dass die Stimme gelogen hat. Du wurdest betrogen. Du siehst rückblickend, wie lange es bereits her ist, seit du gefallen bist. Das Gefängnis ist alt. Du frierst.

Mein Bild ging weiter: Ich sah, dass Regen kommen müsste. Die Flasche müsste im Regen stehen und, obschon der Flaschenhals sehr eng ist, würde mit der Zeit sich Wasser sammeln in der Flasche und der Wasserspiegel würde höher und höher klettern, und so würde ich schliesslich aus dem Gefängnis hinausgeschwemmt werden.

Nun kannst du es aber nicht selber regnen lassen. Über das Wetter hast du keine Macht. Vielleicht gibt es tatsächlich Regenmacher, die solches zu tun vermögen, aber du? Du weisst, dass der Regen eigenen Gesetzmässigkeiten folgt. Diese Gesetzmässigkeiten sind der Herr des Regens. Diesen Herrn ruft dein gefangenes Herz an. Nicht Worte sind es primär, sondern die erlebte Kälte, der erlebte Schmerz, die erlebte Verlassenheit sind es, die den Ruf ausmachen.

Das Wasser trägt dich genau soweit, als du dich seinen Gesetzmässigkeiten einfügst. Verhältst du dich wie ein Stein, denkend: „So, nun mach’ mal“, dann wirst du ertrinken. Ohne deinen eigenen Einsatz geschieht nichts Befreiendes. Damit dich das Wasser trägt, musst du dich dem Wasser gemäss verhalten. Du musst schwimmen oder dich auf dem Rücken liegend, richtig atmend, mit einem Minimum an Bewegung vom Wasser tragen lassen. Das Wasser trägt dich sobald und soweit du dich auf sein Wesen einlässt.

Wer weiss, vielleicht war der Schrei deines Herzens der Regenmacher? Das Wasser ist gekommen, es regnet aus dem Leben ausserhalb des Gefängnisses direkt in deinen Abgrund hinein. Dieses Lebenswasser erfüllt dein Gefängnis, der Abgrund läuft über von Leben und du schwimmst in die Freiheit. Das ist Glück, das ist wahres, echtes Leben! Frei und ungebunden! Freude, Glückseligkeit, Licht und Leben umgeben und durchtränken dich.

Dankbarkeit erfüllt dein Herz, deinen Geist. Sie will sich verströmen an das Leben, an das neu wiedergefundene Leben. Die Kraft dieses Lebens mit seinen gesetzmässigen Bedingungen und Bedingtheiten hat den Regen fallen, das Wasser des Lebens strömen lassen.

Dieses umfassende lebendige Ganze nennst du vielleicht Herr oder Gott oder Tao oder Dharma oder Gesetz. Der Name den du ihm gibst ist nicht so wichtig, er ist bedingt durch die Kultur, in der du aufgewachsen bist und lebst. Das Bild, das du dir machst von diesem Ganzen ist ein Bild deiner Vorstellungs-kraft, es weißt auf das Leben hin, ist es aber nicht selber. Das Symbol, das du benützt um diese Wahrheit darzustellen, ist ein mögliches unter unzähligen. Achte sehr darauf, dies niemals zu vergessen. Wenn du es vergisst, wirst du in einen neuen Abgrund fallen, in eine neue Gefangenschaft, in die Sklaverei von dogmatischem Absolutismus und religiösem Fanatismus. Dem beuge vor durch Achtsamkeit und Bewusstseinsklarheit.



[1] Geschrieben in Mundart, 2. November 2004


Worte in deinen Ohren

 



4       Worte in deinen Ohren

 

Ungezählte Stimmen reden auf dich ein. Stimmen von aussen und Stimmen von innen. Stimmen von anderen Menschen, Stimmen von Kultur, Erziehung, Religion, Ideologie. Stimmen deiner eigenen, oft un- oder wenig geprüften Überzeugungen, Fantasien, Vorstellungen, Wünsche. Dein ganzes Verhalten und dadurch dein ganzes Erleben werden von solchen Stimmen bestimmt. Von den Stimmen, auf die du hörst, denen du glaubst und vertraust. Diese Stimmen prägen dein Leben.

Das Wort der Wahrheit ist ein Wort das Frieden und Freiheit bringt, ein Wort, das dein Herz mit Gutem, Schönem und Wahrem erfüllt. Das Wort der Lüge ist ein Wort das Streit und Gefangenschaft bewirkt, ein Wort, das dein Herz mit Bösem, Hässlichem und Verlogenem anreichert. Sei wachsam! Achte gut darauf, was eine Stimme, ein Wort, in deinem Geist, in deinem Herzen auslöst. Wo dein Herz offen wird, empfänglich für das Leben und alles Lebendige, da ist das Wort der Wahrheit, da ist die Stimme des Lichts. Wo sich dein Herz verschliesst gegen das Leben und alles Lebendige, da ist ein Lügenwort, da ist die Stimme des Abgrunds, die Stimme der Verlorenheit.

Alles Leben sucht Wahrheit, sucht wahres Leben. Du suchst etwas, was da ist, etwas, das tatsächlich existiert. In Wirklichkeit ist es das einzige, das tatsächlich Existenz hat, denn was ist Lüge? Nichts anderes als die Abwesenheit von Wahrheit. Nur, frage dich einmal tief und ernsthaft: Gibt es denn irgendwo eine Abwesenheit von Wahrheit, von Wirklichkeit?

Lüge ist ein Schemen, ein Schatten ohne eigene Existenz, denn sogar die Lüge ist als Lüge wahr. Sobald du eine Lüge als Lüge erkennst siehst du nichts anderes als die Wahrheit, die Realität, du siehst die Dinge so, wie sie wirklich sind.

Und was ist Leben? Geborenwerden und Sterben. Was suchst du also? Geboren bist du offensichtlich bereits geworden und das Sterben steht dir mit Sicherheit bevor. Du lebst also. Hier ist es, das Leben, das du suchst. Hier, direkt vor und in deiner Nase. Kein anderes Leben ist wirklicher als das, das du gerade hier und jetzt erlebst. Und weil dieses hier und jetzt erlebte Leben wirklich ist, ist es auch wahr. Du suchst die Wahrheit, suchst das Leben: Hier sind sie, hier und jetzt.

Solange du deinen Lebensweg nicht tief liebst, solange bestehen Zweifel, und solange Zweifel bestehen, solange macht Hoffnung einen gewissen Sinn. Aber nicht die Hoffnung ist der Weg, die Liebe ist es. Sobald du das Leben, dein Leben, alles Lebendige, zutiefst zu lieben vermagst, verschwindet jeder Gedanke, jedes Gefühl von Vergeblichkeit und alle Hoffnung erfüllt sich in dieser erlebten Liebesfähigkeit hier und jetzt. Dann bist du hoffnungslos liebend und jeder Gedanke, jedes Wort, jede Handlung macht Sinn.

Du selber bist als Liebender der Weg des wahren Lebens. Gott sei die Liebe, und wer liebe, kenne Gott und sei aus Gott geboren. Deine Liebesfähigkeit ist deine Göttlichkeit.

Du bist – dein Herz ist – die Türe zu einem segensreichen Leben. Die Türe kann verschlossen und fest verriegelt sein, dann wird vielleicht dennoch ein klein wenig Segen durch das Schlüsselloch fliessen, wenn du die Türe aber weit öffnest, Schlüssel und Kette ins Meer wirfst oder gar die Türe vollständig aus den Angeln hebst und verbrennst, dann wird der Segen so überfliessend sein, dass sich durch dein weit geöffnetes Herz Gutes, Schönes und Wahres in nie endendem Fluss in dein Leben und Erleben ergiessen. Du hast es in der Hand: Du bist der Besitzer des Schlüssels. Fürchte dich nicht vor den Schatten, die das ausströmende Licht begleiten werden: Sie sind unvermeidlich, denn wo Licht ist, ist auch Schatten, auf jeden Fall solange, als das Licht auf Hindernisse trifft. Aber nicht die Schatten haben die Kraft und die Macht, das Licht hat sie. Wo immer das Licht hinströmt kann kein Schatten jemals bestehen.

Die Worte der Fanatiker und Dogmatiker sind Worte des Todes. Buchstabenhörigkeit ist einer der schlimmsten und tiefsten Abgründe überhaupt. Wo das Wort als eine bestimmte Folge von Buchstaben wichtiger genommen wird als der Bedeutungsgehalt der Buchstabenfolge, da ist Lüge, nicht Wahrheit. Das Beharren auf bestimmte Namen und der Anspruch auf das Alleinseligmachen durch genau diese Buchstabenfolge kommen einem Mord gleich, einem Mord an der Wahrheit, an der Wirklichkeit. In Buchstabenfolgen ist keine Wahrheit. Die Wahrheit, das Leben, geht vom Geist aus der die Buchstabenfolge versteht. Ist dieses Verstehen da, dann werden die Namen als bedingt durch Kultur, Religion, Ideologie begriffen.

Geistlose Worte, Worte der Dogmatiker und Fanatiker, Worte der Schriftgelehrten, der Philosophen, der Theologen die sich an bestimmte Buchstabenfolgen klammern und nicht zu erkennen vermögen, dass andere Buchstabenfolgen, andere Namen, unter Umständen genau dasselbe zu bezeichnen versuchen wie die von ihnen gewählten, solche Worte treffen niemals die Wirklichkeit, niemals die Wahrheit, sie sind Worthülsen ohne Inhalt, oft nicht bloss vergeblich geäussert sondern zudem zum Schaden von vielen.

Also achte darauf, dass dein Wort geisterfüllt ist, achte darauf, dass du nicht den Wegweiser zum Weg selber erklärst. Es mag tatsächlich nur einen wahren Weg geben und nur ein echtes Ziel, Wegweiser aber stehen an jeder Stelle wo auch immer ein Mensch steht, und ein jeder von ihnen zeigt, bedingt durch seinen Standort, in eine leicht bis sogar krass andere Richtung. Und auf einem jeden stehen andere Namen, je nach Zwischenetappe und verwendeter Sprache. Sei auf der Hut!

Dein Wort gibt Leben. Es gibt Leben insoweit es tatsächlich geisterfüllt ist und nicht eine leere Worthülse. Geisterfüllt ist ein Wort, dass erkanntes Erleben undogmatisch und nicht fanatisch wiedergibt. Wenn dein Geist und dein Wort echt sind und ohne Absolutheitsanspruch, dann ist dein Wort ein Wort des Geistes der Wahrheit. Sonst nicht. Liebe strömt nicht von einem Besitzer aus und das Wort der Liebe ist kein Besitz. Das geisterfüllte Wort ist frei von Besessenheit.

Was ist Glaube? Glaube ist nicht ein Fürwahrhalten von etwas. Glaube ist ein tiefes Vertrauen ins Leben und seine Gesetzmässigkeiten. Ein solcher Glaube ist keine Blind-gläubigkeit in irgendwelche Glaubenssätze, sondern sein Fundament ist erkanntes Erleben. Vertrauen ins Leben wächst wiederum dort, wo das Leben, das Erleben, das erkannte Erleben, geliebt wird. In dieser Liebe zum Leben wird das Wort der Wahrheit geboren. Ein solches Wort hat Autorität, hat Vollmacht, weil es keine Theorie ist, keine Worthülse, sondern tief erlebtes und darin nicht selten auch tief erlittenes und in seiner existenziellen Wirklichkeit erkanntes Leben. Dieses Wort wurzelt nicht in Illusionen, nicht in Fiktionen, sondern in der nackten Wirklichkeit, und diese allein ist Wahrheit.


Die schützende Hand

 



5       Die schützende Hand

 

Im Gefängnis aus Glas, eingekerkert in ein durch Erziehung, Schule, Kultur und nicht zuletzt durch deine eigenen Vorstellungen geprägtes Weltbild. Auch wenn du dir dessen nicht bewusst bist: Du lebst gemäss einem Weltbild. Du musst dich weder religiös noch sonst wie ideologisch identifizieren, dennoch hast du ein Weltbild. Dieses Weltbild ist die Welt, in der du lebst. Dieses Weltbild ist die Wand, vor der du stehst und die dich vom wahren unmittelbaren Erleben abhält. Alles erlebst du durch die Brille deines konditionierten Weltbildes und gemäss diesem Weltbild nimmst du die Welt wahr und reagierst auf sie.

Wenn du den Unterschied erkennen und erleben möchtest zwischen einem Leben aus zweiter Hand und einem echten unmittelbaren Erleben, dann kommst du nicht darum herum, dich deinem Weltbild zu stellen, es kennenzulernen. Denn nur was du kennst, kannst du allenfalls auch willentlich verändern. Dein Weltbild ist konditioniert, es ist jahrelang eingeübt, von Kindheit an. Du kannst, wenn du willst, die Konditionierung aufheben, da, wo du unheilsame Konditionierungen erkennst. Du kannst dich neu konditionieren, in Liebe und Weisheit, dann wirst du anders auf deine Erlebenswelt reagieren als heute. Und schliesslich kannst du es lernen auf die vermeintliche Sicherheit von Konditionierungen zu verzichten und immer wieder auch in der Unmittelbarkeit der Erfahrung zu leben, im Hier und Jetzt.

Eine auf einem Weltbild erbaute – vor sich hingestellte – Zukunft ist immer auf Sand gebaut. Das Weltbild, die Ideologie mag noch so edel sein, sie ist dennoch reine Fiktion. Das Weltbild ist niemals die Wirklichkeit, der Unterschied ist derselbe wie der zwischen dem Wegweiser und dem Weg oder dem zwischen der Speisekarte und der Speise. Du kannst dich beim Wegweiser unten im Tal niederlassen, der zur Bergspitze verweist, und dir einreden, du seihst am Ziel. Du kannst die Speisekarte verzehren und dir einreden, du hättest die Speise genossen. Bei genügend Wahn wirst du es sogar schaffen, die Illusion deines Tuns nicht zu durch-schauen. Aber ein solches Tun bietet kein Fundament für ein echtes Leben. Wenn dein Leben auf deinen Vorstellungen von Zukunft gründet, dann wird der Strom des wahren Lebens dieses auf Sand gebaute Fundament früher oder später mit Leichtigkeit mit sich reissen. Bist du jetzt nicht bereit, deine Illusionen fahren zu lassen, dann wirst du es durch solche Erfahrungen lernen müssen. Das ist nicht weiter schlimm, kann aber sehr schmerzhaft sein.

Getrieben zu sein, getrieben nicht zu sein, getrieben zu rauschhaftem Sinnenerleben, getrieben zu Dogmatismus… getrieben ohne Möglichkeit diesem Drang irgendetwas entgegenzusetzen oder ihn irgendwie zu kanalisieren. Vielleicht rechtfertigst du, wie ich es getan habe, dieses getriebene Leben mit dem Hinweis auf deine Freiheit. Aber das ist keine Freiheit, sondern Sklaverei. Du bist eine Marionette in der Hand deiner Triebe. Die wahre Freiheit ist genau das, was du zutiefst fürchtest, denn die wahre Freiheit bedeutet die völlige Verantwortung über das Leben zu übernehmen. Nicht nur über dein Leben, über alles Leben. Du schiebst die Verantwortung andauernd irgendwo hin, sprichst sie deiner Mutter, deinem Vater zu, der Gesellschaft, Gott, deinen Trieben, deinem Charakter, und genau dadurch versklavst du dich selber an jene oder an jenes, dem du die Verantwortung für dein Erleben in die Schuhe schiebst. Du bist ein Sklave und bleibst es solange, bist du bereit bist eigenverantwortlich zu leben.

Die Schattenstimmen, der dich rufende dunkle Abgrund, sie blenden durch verlockende Versprechungen und gemalte illusionäre Bilder voller süsser Verheissungen deinen Verstand und benebeln dein Bewusstsein, so, dass du nicht mehr klar zu sehen und nicht mehr folgerichtig zu denken vermagst. Das Dunkel ist ein Blender.

Achte auf die Stimmen und auf ihren Klang! Stimmen des Lichts befreien den Körper, die Gefühle, das Herz, den Geist. Stimmen des Dunkels versklaven den Körper, ersticken die Gefühle, lassen das Herz frieren und den Geist verbittern. Das kannst du wahrnehmen wenn du wach bist, achtsam und bewusstseinsklar.

Die Gesetzmässigkeiten des Lebens sind wie eine schützende Hand. Sobald du sie erkennst und den Widerstand aufgibst, dienen sie dir. Solange du ihnen widerstrebst, sie ablehnst, gegen sie aufbegehrst und gegen sie ankämpfst, stehst du auf verlorenem Posten.

Du musst nicht den Gesetzen dienen, wie es die institutio-nalisierten Religionen und der Staat von dir fordern. Dass eine solche Forderung nicht aus der Wahrheit kommt erkennst du wiederum in den Empfindungen, die sie in dir auslöst.

Die Lebensgesetze dienen vielmehr dir. Deshalb lerne sie kennen und füge dich in sie ein, dann wirst du sie als eine schützende Hand über deinem Leben kennen lernen und das Wort „Gesetz“ erhält eine völlig neue Bedeutung für dich.

Das einzige Immer, das existiert, ist das Immer hier und jetzt. Es ist immer hier und jetzt. Es ist nie gestern oder morgen. Gestern und morgen können nur in Vorstellungen erlebt werden, niemals in der körperlichen Realität hier und jetzt. Immer bei dir zu sein bedeutet hier und jetzt im Strom des wahren Lebens zu leben. Nicht mehr alleine sein heisst in die Ganzheit des Lebens eingebettet zu sein. Echte Sicherheit ist nicht die Sicherheit von Versicherungen und Kapital, sondern sie besteht in der Unmittelbarkeit des Erlebens hier und jetzt. Dieses unmittelbare Erleben hier und jetzt ist das einzige, was dir solange du lebst nicht genommen werden kann. Nicht ein zeitlich und räumlich fernes, vergangenes oder zukünftiges Paradies, das Hier und Jetzt ist dein wahres Zuhause.


Wer die Liebe ist

 


Zum (Mundart-) Lied 
I WEISS NID WAS LIEBI ISCH 
(CD "Uelis Schrot" 2007)




6       Wer die Liebe ist

 

Dich will ich sehen, dich will ich fühlen, deine Liebe, deine Vergebung, deinen Frieden will ich erleben. Denn du bist wirklich, du bist real. Nicht eine Fiktion will ich sehen, keine eingebildeten Empfindungen will ich fühlen, keine fiktive Liebe und Vergebung will ich mir selber einreden oder mir von anderen einreden lassen, keinen nur gedachten Frieden will ich erleben. Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben, dich will ich erleben. Dich will ich erleben und genauso wie du bist, denn nur so bist du echt, nur so bist du wirklich, nur so bist du wahr.

„Nicht wer mir folgt, wer seinen eigenen Weg geht ist mein Begleiter“, hat Mohsen Charifi in einem Gedicht geschrieben[1]. Wenn du klarbewusst deinen Weg gehst, dann verdienst du mein Vertrauen. Nicht dass ich dir alles glaube, was du sagst, in dem Sinne, dass ich alles was du äusserst für bare Münze nehme, und nicht dass ich dir nachfolge auf deinem Weg: Ich folge dir darin nach, dass, wie du den deinen Weg gehst, ich den meinen gehe. Mein Vertrauen, mein Glaube, betrifft deinen Weg für dich ebenso wie den meinen für mich.

Als Weg des wahren Lebens bist du immer bei mir. Darin sind wir nicht unterschieden voneinander. Es ist schön, zu wissen, dass es dich gib, dich, den Weg, die Wahrheit und das Leben.

In allem Leben, in allem Lebendigen offenbart sich der Weg des wahren Lebens. Deshalb kannst du in keinem seienden Leben deinen Feind entdecken, und so hast du keine Feinde mehr. Du hast keine Feinde mehr, weil du selber allem Freund bist. Dieses bedingungslose Vertrauen in die Wirklichkeit kann niemals mehr enttäuscht werden, weil es auch alle Schmerzerfahrung mit einschliesst und nicht mehr der Illusion unterliegt, es gäbe ein unvergängliches, leidloses, personales Einzelleben. Ein solcher unerschütterlicher Glaube besteht nicht im Fürwahrhalten von etwas, sondern in der tiefen und als Wahrheit erkannten Erfahrung von Vergänglichkeit, Leid-unterworfenheit und selbstloser Bedingtheit.

Stille Freude ist eine Freude, die in der Ergriffenheit durch den Weg des wahren Lebens besteht. Du wirst von der Wirklichkeit ergriffen, alle Lüge, alle Illusion fällt von dir ab und du erkennst es. Es ist das Erleben der Wahrheit, von der Jesus sagte, dass sie dich frei machen wird. Diese stille, innere Freude am Weg, an der Wahrheit, am Leben wird dich nie mehr verlassen. Selbst in der Erfahrung von Schmerz und Leid ist diese stille innere Freude immer noch da, einfach aus dem Grunde, weil auch Leid und Schmerz wahr sind und somit dem Weg des wahren Lebens zugehörig.

Die Liebe, das bist du. Das ist vielleicht noch nicht deine Erkenntnis, aber wenn du Liebe suchst, dann suche sie nirgendwo sonst als in dir.

Zwinge dich nicht zur Liebe, das ist unmöglich. Wenn du möglicherweise kaum dich selber zu lieben fähig bist, wie willst du dir die Liebe zu deinem Nächsten oder gar zu deinem Feind anbefehlen? Das ist nicht möglich. Liebe kann überhaupt nicht befohlen, nicht angeordnet, auch nicht geboten werden, denn Liebe ist frei strömende Wahrheit dort, wo die Pforten des Herzens geöffnet sind, dort, wo sie nicht mehr in Schranken gehalten, nicht mehr unterdrückt wird. Die Liebe findest du in dir, nirgendwo sonst. Aber bevor du sie findest, wirst du wahrscheinlich zuerst Türen öffnen, vielleicht Wände einreissen und dich aus gläsernen Gefängnissen befreien müssen. Ich bin ein Mensch wie du, wie jeder andere, und wenn die Liebe, wenn der Weg des wahren Lebens mein wahres Sein ist, dann ist dies auch bei dir und bei jedem anderen Menschen so.



[1] Mohsen Charifi: „Bis wir das begreifen, was wir schon immer wussten“ (Mohsen Charifi Verlag 1998)


Lobgesang

 




Lied:
LOBGESANG
a) Der gesalbte Sohn

7       Lobgesang

 

Die gesalbte Tochter, der gesalbte Sohn. Die Salbung ist die Salbung des Geistes der Wahrheit. Lass dir nicht einreden diese Salbung gebe es nur und ausschliesslich für die Anhänger einer bestimmten Religion. Der Geist der Wahrheit kümmert sich nicht um Religionen, er kennt auch keine beziehungsmässige Bevorzugung. Der Geist der Wahrheit wirkt dort, wo die Wahrheit gelebt wird. Dort wo die Wahrheit gelebt wird, von dort geht die Salbung aus und dort fliesst sie auch hin. Du bist der gesalbte Sohn, du bist die gesalbte Tochter weil du in der Wahrheit lebst. Es gibt keine andere Wahrheit als die Wirklichkeit und deshalb hast du gar nicht die Möglichkeit nicht in der Wahrheit zu leben, denn aus der Wirklichkeit kannst du nicht entfliehen. Du hast allerdings die Möglichkeit gegen die Gesetze des Seins anzugehen, dich ihnen zu widersetzen, aber auch dies geschieht nicht ausserhalb der Wirklichkeit. Du bist der gesalbte Sohn, die gesalbte Tochter, weil du in der Wahrheit lebst und weil sich die Wahrheit durch dich kundtut.

Du bist das Tor zum Frieden. Dein Herz ist die Pforte. Vielleicht hältst du sie noch verschlossen weil du Angst hast vor dem, was da aus deinem Herzen strömen wird. Und es ist wahr: Es wird nicht nur Licht und Frieden kommen, es wird auch Dunkles und Schmerzhaftes hervorbrechen. Doch denk daran: Nicht das Dunkle, das Licht hat die Macht.

Der Lohn, den das Öffnen der Herzenspforten mit sich bringt, ist herrlich. Er ist in der Welt des Irdischen und in der Welt des Geistes herrlich. Die Herrlichkeit besteht in der Ergriffenheit durch die Wahrheit, in der stillen und unverlierbaren inneren Freude an der Wahrheit. Nichts in der Welt ist damit vergleichbar, weder materielle Werte noch sinnliche Freuden.

Es gibt die, durch ein unsichtbares Band zusammengehaltene, Gemeinschaft von Menschen welche die Wahrheit erkannt haben. Rund um den Globus preisen dankbare offene Herzen durch das freie Hindurchströmen der Wahrheit den Sohn, die Tochter des Ewigen. Tausendfach, millionenfach auferstanden im Fallenlassen von Illusion und Lüge. Die Wesen der höheren geistigen Welten stimmen ein in dieses Strömen der Wahrheit, ein Chor von Herzensstimmen der Liebe und des Mitgefühls erfüllt den Kosmos. Das anfangslose und endlose Sein, einige nennen es den Vater oder die Mutter, wird erfreut durch diesen himmlischen Klang. Dieser Klang ist der Pulsschlag des Seins, der Gesang der freien Existenz.

Wo immer ein geöffnetes überströmendes Herz weilt, da ist ein himmlischer Ort. Solche Herzen sind Götterboten, Boten des Guten, Schönen und Wahren. In der Gegenwart solcher Boten ist es leicht, den Mut zu finden um die Herzenstüren aufzuschliessen. An solchen Orten ist keine Angst, keine Furcht vor den das Öffnen begleitenden Schatten.

Wenn der Mund übergeht von dem, was das Herz erfüllt und durchströmt, dann formt er Worte, Namen, Sätze. Gesalbte werden gepriesen rund um den Globus unter vielen Namen, in unzähligen Vorstellungen, Bildern, Symbolen. Er ist der Christus, der gesalbte Gottes, er ist der Buddha, der vollkommen Erwachte, er ist Krishna, der Flötenspieler, sie ist Gaia, die Mutter Erde, ist die Natur, ist das Leben, ist der Weg, ist die Wahrheit, ist alles und nichts und weit mehr als das. Lass dich nicht verwirren durch die Vielzahl der Namen und Formen, sie sind nur menschlich, nur kulturell bedingt. Und wenn dein Herz überströmt zum Lobpreis, dann lass’ deinem Herzen freien Lauf und lass es selber den Namen formen, der ihm entspricht. Fürchte dich nicht, der erlebten Wahrheit einen Namen zu geben, lass es zu, lass es geschehen. Preise die Wahrheit in deinen Worten, in den Worten deines Herzens, und wisse stets, dass dein Lobgesang nicht dem Namen und nicht der Form gilt, sondern der durch diese symbolisierten Wirklichkeit.

Der Lobgesang und das Licht des überströmenden Herzens bedeuten das Ende der Dunkelheit, das Ende der Gefangen-schaft, das Ende ignoranter Unwissenheit. Der Geist der Wahrheit füllt alle Abgründe auf und du kannst darüber gehen wie Jesus über das Wasser.

Nun erkennst du dich selber als Tochter, als Sohn des Lichts. Es ist das erkannte Erleben, das dir die Gewissheit schenkt. Du brauchst keine Bestätigung von irgendeiner Seite dafür. Und wenn dir ein einzelner Mensch oder eine ganze Gemein-schaft die Gotteskindschaft abspricht, dann machst du dich davon nicht abhängig, denn nicht äussere Autoritäten, sondern der Geist der erlebten und erkannten Wahrheit allein ist dein Zeuge: „Der Geist des Menschen allein weiss, was in ihm ist“[1].



[1] Bibel, 1.Kor 2,11


Erleben

 



Zum (Mundart-) Lied
HIE U ITZ 
(CD "Uelis Schrot" 2007)


Lied:
LOBGESANG
b) Er-lebt

8       Erleben

 

Der leere Raum, das Gefängnis aus Glas. Das Leben hinter Glas, ausserhalb, getrennt von dir, unwirklich wie ein Traum. Es betrifft dich nicht, hat mit dir nichts zu schaffen. Du lebst in Isolationshaft, fern von deinen Mitmenschen.

Es gelangt durch die gläsernen Wände zwar Licht in dein Gefängnis, aber das Licht scheint kalt, leblos. Auch in deinem Innern ist nicht nur Finsternis, auch dort ist ein Licht, doch das Licht ist wie herzlos, ist kein Licht der Liebe. Der Schmerz, den du erlebst, ist über den Schmerz hinaus ein tiefes Leiden an deiner eigenen Existenz und am Sein überhaupt. Du weißt nicht warum es so ist, warum das Licht nicht wärmt und warum der Schmerz nicht einfach nur Schmerz, sondern tiefes existenzielles Leiden ist.

Das wahre Leben, das Lebenswasser, was soll das sein? Wie kann sich dieses wahre Leben dir geben? „Wer sucht der findet“[1], hat ein Gesalbter vor zweitausend Jahren gesagt. Wenn du das wahre Leben aufrichtig suchst, dann wird es sich dir offenbaren, es wird sich dir geben, du kannst es als ein Geschenk entgegennehmen. Denn machen kannst du es nicht. Suchen tust du es, indem du deine Herzenstüre aufschliesst und in dein Innerstes eingehst. Denn das wahre Leben ist nicht etwas oder jemand ausserhalb von dir, sondern es ist in dir, in deinem eigenen Inneren zu finden. „Das Reich Gottes ist inwendig in euch“[2], hat derselbe Gesalbte gesagt. Also suche Frieden, Freiheit, Liebe nicht ausserhalb deiner selbst, suche nicht dort, wo es nichts zu finden gibt, suche an der Quelle, suche in deinem Herzen.

Je näher du der Quelle kommst, umso mehr Erinnerungen werden aufsteigen. Erinnerungen an längst Vergessenes, Erinnerungen an vor langer Zeit bereits Erlebtes. Diese Erinnerungen, vielleicht vage, ohne Worte, ohne Bilder, weniger formulierte als vielmehr gefühlte Erinnerungen, sind die Führer und Wegweiser auf deiner Suche. Was du suchst, Weg, Wahrheit, Leben, war stets da, hast du nie verloren, nur vergessen. Was du schliesslich findest, hier und jetzt findest, war immer da, immer frei verfügbar.

Es gab wahre, verwirklichte Menschen zu allen Zeiten. Christus gilt den Christen als ein solcher. Buddha den Buddhisten. Sie und viele andere waren und sind Repräsentanten von Liebe und Freiheit. Sie sind Wegweiser für dich. Ihr Wort kann Führung sein für dich, kann dir Leben bringen in dein Gefängnis. Ihr Wort, ihre Lehre, ihr gelebtes Vorbild vermögen dir Kraft zu geben, Mut, deine Türen zu öffnen und dieselbe Liebe, dieselbe Wahrheit in deinem eigenen Inneren zu finden und ausströmen zu lassen. Sobald das geschieht, steigt der Pegel des Lebenswassers in deinem Gefängnis und wird dich zur Freiheit führen, ins volle, wahre, echte, unverfälschte Leben.

Die Auferstehung aus dem Gefängnis des Todes geschieht in dir, an dir, mit dir, hier und jetzt. Sie ist der Lohn für deine mutige Suche, für deine Bereitschaft, die Herzenstüre zu öffnen, allen Risiken zum Trotz.

Er, der Gesalbte, er, der Erwachte, sie leben in deinem Herzen, und dort findest du sie. In deinem eigenen Erleben findest du sie. Sie sind nicht getrennt von dir. Sie sind dein Weg des wahren Lebens.

Der Weg ist nicht getrennt von deinen Schmerzen, weder von den körperlichen, noch von den psychischen. Mit dieser Erfahrung schwindet alles Leiden am Schmerz. Wenn selbst Schmerzerfahrungen, nicht anders als Wohl- und Glück-erlebnisse, zum Weg des wahren Lebens gehören, ja, der Weg des wahren Lebens sind, dann fällt der Widerstand gegen den Schmerz von dir ab und damit das existenzielle Leiden am Schmerz.

Du erlebst den Weg nicht als gesondert von dir. Er ist kein Geist, der von dir Besitz ergreift, kein von dir getrenntes Wesen innerhalb oder ausserhalb von dir. Der Weg, das bist du, als genau der Mensch, der du bist. Mit allen Freuden und allem Schmerz, mit allen Befähigungen und allen Mängeln und Schwächen. Sobald du ihn in dir erkennst, bist du eins mit ihm und mit dir selber. Dann freust du dich über deine Fähigkeiten und Kräfte ohne Überheblichkeit und du akzeptierst deine Begrenzungen und Schwächen ohne Verurteilung. Du bist wahrer Ausdruck des Lebens, du bist einer seiner Wege.

Das wahre Leben ist in dir und je mehr du darin aufgehst, umso mehr bist du eine Personifikation, eine Menschwerdung des Ewigen. Du bist es zu jeder Zeit, bist es niemals nicht gewesen, aber Dunkelheit lag über dem Weg, Lügen versperrten die Sicht auf die Wahrheit und die Angst vor dem Tod hinderte das Leben daran ekstatisch aufzusteigen. Leben und Tod lassen sich jedoch nicht trennen. Jedes Leben trägt seinen Tod in sich. Fürchtest du den Tod, dann fürchtest du auch das Leben, und fürchtest du das Leben, dann fürchtest du auch den Tod. Die wahre Freiheit aber ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie ist deine wahre Heimat ohne jemals dein zu sein. Dein vergängliches, dem Tod unterworfenes Wesen wird niemals in dieses Reich eingehen, weder als Körper, noch als Seele, noch als Geist. Nur im Erwachen zu vollständiger Selbstlosigkeit verwirklicht es sich. Willst du es als Besitzender besitzen, dann entzieht es sich dir. Gib also jeden Anspruch darauf auf und lebe dein Leben hier und jetzt.



[1] Bibel, Mt 7,8

[2] Bibel, Lk 17,21