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Im Dezember 2007 schrieb ich in einem persönlichen Wort an meine Freunde, Verwandten und Bekannten:
Intensiv habe ich in den vergangenen zwei Jahren versucht, die christliche und die buddhistische Lehre und Spiritualität in meinem Leben zu vereinen. In weiten Teilen ist dies zweifellos möglich und ist es mir persönlich auch gelungen. Was den Bereich der Ethik anbetrifft, so sind die Lehren durchaus kompatibel. Durch die Praxis des Herzensgebets und durch das Studium der Philokalie[1] erkannte ich auch den inneren Weg der Meditation und Kontemplation in etlichem als identisch und in vielem als sich gegenseitig ergänzend und bereichernd. Schwieriger wird es jedoch im erkenntnis-theoretischen Bereich. Meinen Versuch, das christliche personale Gottesverständnis mit der Nicht-Ich-Lehre des Buddha in Übereinstimmung zu bringen muss ich gegenwärtig als gescheitert ansehen.
Drei Jahre später sollte mir ein Buch unter der Autorenschaft des Dalai Lama (es sind aber auch wertvolle Beiträge anderer, christlicher Autoren darin enthalten) meine Erfahrung bestätigen:
Nach meinem
Empfinden gibt es ausserordentlich viele Punkte der Annäherung oder
Übereinstimmung zwischen der buddhistischen und der christlichen Überlieferung
und ein enormes Potenzial zu wechselseitiger Bereicherung durch den Dialog:
zumal im Bereich der Ethik und
in der spirituellen Praxis, wenn es um Mitgefühl, Liebe, Meditation und grössere Toleranz geht.
Und ich spüre, dass dieser Dialog sehr weit gehen könnte. Wenn es aber zu einem
Dialog in Bezug auf philosophische und metaphysische Fragen kommt, müssen wir,
so glaube ich, getrennte Wege einschlagen. Die gesamte buddhistische Weltsicht
basiert auf einem philosophischen Standpunkt, dessen zentraler Gedanke das
Prinzip der wechselseitigen Bedingtheit ist: Ihm zufolge treten alle Dinge und
Geschehnisse allein infolge von Wechselwirkungen zwischen Ursachen und
Bedingungen ins Dasein. Innerhalb dieser Philosophie ist es nahezu unmöglich,
Raum zu schaffen für eine ausserzeitliche, ewige, absolute Wahrheit. Ebensowenig
ist es möglich, die Vorstellung einer göttlichen Schöpfung unterzubringen.
Entsprechend hat für einen
Weiter aus meinem ‚persönlichen Wort’:
Dankbar blicke ich auf die vergangenen Jahre im
christlichen Glauben und in christlicher Gemeinschaft zurück. In vielem durfte
ich als Mensch reifen, allem voran in der Befähigung zu persönlichem Austausch
und zum Leben in Gemeinschaft. Gleichnishaft dafür stehen auch mein dreijähriges,
berufsbegleitendes Studium in christlicher Sozialtherapie SCS und die fast
fünfjährige Arbeit in einer stationären Drogentherapie in Adelboden. Stets habe
ich die Ausbildung und die therapeutische Arbeit auch als meine eigene Sozialtherapie
erlebt.
Mit all den neu gewonnen Erfahrungen und Einsichten bezüglich Religion, Spiritualität und Gemeinschaft gehe ich meinen Weg nun in der Lehre des Buddha weiter. Vieles sehe ich jetzt auch hier neu, und der Buddha-Dhamma scheint mir tatsächlich der „mittlere Weg“ zu sein, wie der Buddha seinen Weg und seine Lehre selber bezeichnet hat. Es ist mir bewusst, dass eine solche erneute „Metanoia“ (Sinnesänderung, Umkehr) nicht für alle so einfach zu verstehen ist. Ich hoffe aber doch, dass Du, lieber Freund, liebe Freundin, mir die Freiheit, diesen Weg zu gehen, zugestehen kannst. Und ich bin mir gewiss, dass – bei gegenseitiger Toleranz und Offenheit – weiterhin wertvolle persönliche Begegnungen und lehrreiche Gespräche möglich sind.
Eine Kurzgeschichte von Hermann Hesse[3] geht
mir durch den Kopf: Die Geschichte vom chinesischen Weisen Meng Siä, der eines
Tages plötzlich auf den Händen gehend daherkam und auf die Fragen seiner Schüler
erklärte: „Neu und schöner erscheint die Welt dem auf den Händen Gehenden“. Während
die anderen Alten im Dorf der Ansicht waren, Meng Siä sei nicht mehr ganz
richtig im Kopf, gingen seine Schüler bald schon ebenfalls auf den Händen und
verkündeten dasselbe. Wie erschrocken waren sie aber, als eines Tages Meng Siä
wieder auf den Füssen gehend daherkam und verkündete: „Neu und schöner
erscheint die Welt dem wieder auf den Füssen Gehenden“. Die Alten im Dorfe
waren der Überzeugung, dass Meng Siä nun definitiv nicht mehr bei Sinnen sei,
und seine Schüler wandten sich an ihn mit den Worten: „Einmal behauptet Meng
Siä dies, ein anderes mal das. Es kann doch aber unmöglich zwei Wahrheiten
geben“. Worauf Meng Siä antwortete: „Es gibt die Wirklichkeit, ihr Knaben, und
an ihr ist nicht zu rütteln. Wahrheiten jedoch, nämlich in Worten ausgedrückte
Meinungen über das Wirkliche, gibt es unzählige, und jede ist so richtig, wie
sie falsch ist“. Zu weiteren Äusserungen, schreibt Hesse, liess sich Meng Siä
auch durch intensives Drängen seiner Schüler nicht mehr bewegen.