Freiheit

 




Lied:
FREIHEIT

16     Freiheit

 

Hast du einmal ihr Antlitz erkannt

Dann ist für dich niemals mehr jemand verdammt

Du weisst wer sie ist, weil du sie vermisst

Und immer und immer wieder vergisst

 

Sie ist dir ganz nah’ und immer bereit

Dich zu erheben indem sie befreit

Aus Schlamassel und Qual, aus Enge und Not

Und wäre sie nicht, dann wärest du tot

 

Nun hast du aber Sinne und Sinn

Hat dein Leben ihr zum Gewinn

Sprich ihren Namen und sei bereit

Sie zu benennen als deine Freiheit

 

Sie ist es für alle und ist es für dich

Sie ist es für alle und so auch für mich

An ihrem Busen darf ich mich laben

Und mich erfreu’n an all ihren Gaben

 

Sie ist es, die leise zu mir spricht

Und manchmal mich fordernd fast zerbricht

Sie lächelt mir freundlich ins Gesicht

Wenn ich mich verzweifelnd seh’ im Gericht

 

Sie spricht mich eins und macht mich frei

Wenn ich mich von allem was da ist entzwei

Sie führt mich zur Einheit mit Vater und Sohn

Und schenkt mir gnadenhaft himmlischen Lohn

 

So kann ich ganz neu im Leben steh’n

Und all meine Schulden und Ängste verweh’n

Während ich kraftvoll lebend im Sein

Von mir tu’ allen Trug und allen Schein


Sie alleine ist ganz wahr

Und macht alles Leben licht und klar

Sie ist keine Göttin, nein, das nicht

Und wäre sie es, ich kennte sie nicht

 

Sie ist, des sei dir gewiss, dein Du

In ihr - in dir - findest du Ruh’

Da bist du alles und bist nichts

Und als dieses: Kind des Lichts [1]

 

Das Antlitz, das Wesen der Freiheit zu erkennen, das bedeutet frei zu werden von aller Bedrängnis und Bedrückung, von allen bohrenden Fragen und Zweifeln. Hast du einmal das Antlitz der Freiheit geschaut, dann hast du auch mit grosser Verwunderung festgestellt, dass du in einen Spiegel geschaut und darin dein eigenes freies Antlitz erblickt hast. In dir selber erkennst du die Freiheit des Ganzen, die Freiheit des Seins.

Wie deine eigene kleine Existenz das Ganze spiegelt, so spiegelt eine jede noch so kleine und unscheinbare Existenz das Ganze, das Sein. Wie du dein eigenes Leben als frei erkennst in der Freiheit des ganzen Seins, so auch erkennst du nunmehr jedes Leben als frei. Keine Kluft, keinen Spalt gibt es zwischen sogenannt gläubigen und sogenannt ungläubigen Menschen. Niemand und nichts wird in irgendeiner Weise verdammt oder verurteilt. Die gesamte Existenz ist vollständig ineinander verwoben, das eine vom andern abhängig, und kann frei sein in dem Masse, als die Abhängigkeiten, also die bedingten Gesetzmässigkeiten der gemeinsamen Existenz, erkannt und ihnen gemäss gelebt und gehandelt wird. Die Freiheit ist gegeben, sie ist die eigentliche Wirklichkeit. Die Freiheit des Seins kannst du erleben, wenn du die Gesetze des Seins erkennst, deinen Widerstand gegen sie aufgibst und sie zu deinem und aller Nutzen und Heil anwendest.

Du vermisst etwas, irgendetwas mangelt dir. Du empfindest diesen Mangel deutlich. Nun fülle den Mangel nicht auf mit unnützem Quatsch, der niemals deinen Hunger, deinen Durst, endgültig zu stillen vermag. Das Gefühl des Mangels, das Empfinden, etwas zu vermissen, dieses Gefühl ist zutiefst echt. Aber nicht Äusserlichkeiten mangeln dir, nichts, das dir die sechs Sinne zuführen könnten mangelt dir. Was du vermisst, das ist die Freiheit. Sie ist dir verbaut gerade durch die Äusserlichkeiten, die du begehrst und an denen du dich festhältst. Lass einfach los, lass es fallen all dein „Ich“ und „Mein“ und sobald du dich losgelassen hast erlebst du Freiheit.

Immer wieder vergisst du die Wahrheit der Selbstlosigkeit und gibst dich der Lüge der Selbstsucht hin. Weder für einen Besitzer noch für einen Besitz kann es jemals Freiheit geben. Nur wo der vermeintliche Anspruch auf Besitz (Haben) und Besitzer (Sein) aufgeben wird, nur da kann Freiheit geschaut und erlebt werden. Doch immer und immer wieder vergisst du dies und greifst nach Vergänglichem und Leidunterworfenem um dadurch wiederum Mangel zu erleben. Fast scheint es, dass du dich grundsätzlich mit dem Mangelerleben identifizierst und davon ausgehend lebst, dass ein freies Menschenleben gar nicht möglich sei. Eine solche Ansicht ist wie ein riesiges unüberwindliches Hindernis. Wenn du keine Zuversicht hast in die Freiheit, zumindest als Möglichkeit menschlichen Seins, wie willst du dann Freiheit verwirklichen? Hast du schon einmal, nur ein einziges Mal und vielleicht nur einen ganz kurzen Moment und nur einen Schein von Freiheit erkannt, dann halte dieses Erleben in der Erinnerung fest und binde deine Zuversicht daran. So wird es möglich werden, die Freiheit des Seins nicht mehr aus den Augen zu verlieren und die Freiheit wird aus ihnen leuchten.

Aus aller Bedrückung und Not kannst du Befreiung erleben wenn du nur deine Existenz und das Leben überhaupt wirklichkeitsgemäss anzuschauen lernst. Was ist Leiden? Was ist Leidfreiheit? Was ist Gefangenschaft? Was ist Freiheit? Was ist Gesetz? Was ist Gnade? Prüfe und erforsche das Leben! Die Freiheit ist da, auch wenn du sie noch nicht erkennen kannst. Untersuche, was den Blick auf die Freiheit versperrt und räume die Hindernisse aus dem Weg.

Wäre die Freiheit nicht die letztendliche Realität des Seins, auch deines Seins, dann wärest du, obschon dein Körper leben würde, geistig tot. Die Freiheit ist deine wahre Sehnsucht. Sie wird dir offenbar in dem Ausmass, als du deine Sehnsüchte nicht mit Vergänglichem zu stillen versuchst. Lass alles Vergängliche fahren und das Unvergängliche wird sichtbar werden. Die Sehnsucht nach dem Ewigen ist dein Lebensdurst. Nur die wahre Freiheit vermag ihn zu stillen.

Mit sechs Sinnen ist dein Körper ausgestattet: den fünf körperlichen und dem geistigen Sinn. Durch diese sechs Sinne erlebst du die Welt. Die Welt, das ist deine Erlebens-wirklichkeit. Die Welt wie du sie erlebst besteht zu fünfzig Prozent aus deiner eigenen Wahrnehmung, deiner eigenen Einstellung zur Welt. Je nachdem wie du in die Welt schaust, wie du sie interpretierend und wertend wahrnimmst, schaut die Welt dich an. Die Welt wie du sie erlebst ist also nicht so sehr ein objektives Ding ausserhalb deiner selbst, sondern sie ist vielmehr ein Spiegel deines Herzens. Diese deine Erlebenswelt ist dein Leben. Wenn du dein Leben als sinnvoll erleben willst, dann sei bereit die Freiheit des Ewigen als wahren Sinn zu benennen und Lebenssinn wird zum existenziellen Gewinn und du erlebst das Sein als frei.

Am Busen der Freiheit, am Schauen der Wirklichkeit wie sie ist dich labend entstehen Freude und Gestilltheit als irdische Gaben der Schau der Freiheit. Kein Mangelerleben mehr, nichts wird vermisst, alle Sehnsucht ist gestillt, für diesen Augenblick. Du kannst dich jederzeit erinnern an diesen Augenblick und immer wieder neu kannst du die Freiheit erleben. Der Weg dazu ist bereits einmal oder mehrmals gegangen worden, nun kennst du die Wegzeichen und die Raumzeit dieses Erlebens, nämlich das Hier und Jetzt.

Du kennst auch die Stimme deines Innern, die leise zu dir spricht und dir Wegweisung gibt. „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach“, spricht der Weg des wahren Lebens.[2] Je besser du die Stimme der Wahrheit in deinem Innern zu hören verstehst und je weniger Widerstand du gegen sie aufwendest, umso freudvoller und ruhiger kannst du deinen Weg des wahren Lebens gehen.

Aber dein besserwisserischer Verstand fordert häufig etwas anderes als die Stimme der Wahrheit dir rät. Und daran drohst du manchmal fast zu zerbrechen. An deiner Selbstsucht drohst du zu zerbrechen, und an ihr kann man auch zerbrechen. Wenn du aber deinen Egoismus fahren lässt, deine Ichzentriertheit zugunsten der Bewusstheit des Ganzen aufgibst, dann erlebst du die Gesetze des Seins nicht mehr als dir feindlich gesinnt, sondern als deine Freunde. „Seit ich nicht mehr mich selbst suche, führe ich das glücklichste Leben, das es geben kann“, sagte Turgenjew.[3] Nur im Sinn für das Ganze kann auch dein Teil am Ganzen Sinn finden.

Der Kampf gegen das Leben, gegen die „Gesetze Gottes“, dieser Kampf verursacht dir selber und allen deinen Mitmenschen und Mitwesen Leiden. Verzweifelnd siehst du dein Leiden als „Strafe Gottes“ für deine „Sünden“. Die Sprache, die hier verwendet wird, ist überholt, nicht unserer Zeit und Kultur angemessen. Die Wirklichkeit, die damit ausgedrückt wird, die stimmt aber immer noch. Lerne zu unterscheiden zwischen Schmerz und Leiden, es ist nicht dasselbe. Schmerz, das ist nach einem buddhistischen Gleichnis der erste Pfeil, der dich trifft. Dass dieser Pfeil dich trifft, das kannst du nicht verhindern. Schmerz ist ein Gefühlserleben, das der Existenz innewohnt. Es gibt kein irdisches Leben ohne Schmerzerfahrung. Auch hierin zeigt sich dein Widerstand gegen das Leben wie es ist, dass du den Schmerz ablehnst. Es ist aber nicht möglich, nur Wohlgefühle zu erleben. Der Schmerz gehört genauso zum Leben wie die Lust und alles Wohl. Die Ablehnung der Schmerzerfahrung, die ist der zweite Pfeil, der dich trifft, und dieser zweite Pfeil verursacht dein psychisches Leiden an der Schmerzerfahrung. Der erste Pfeil ist genug, der zweite Pfeil muss nicht sein.[4] Die Möglichkeit der Leidfreiheit lächelt dir mitten in der Schmerzerfahrung freundlich ins Gesicht, und wenn du den zweiten Pfeil nicht abschiesst, dann geschieht keine Verzweiflung, dann erlebst du die Freiheit vom Leiden, auch inmitten von Schmerz.

Das Erleben von Leidfreiheit macht dich eins mit allem Sein dadurch, dass jeder Widerstand gegen das Leben aufgehoben ist. Es wird nicht Wohl begehrt, wo Schmerz erlebt wird. Es wird nicht Schmerz bekämpft und Wohl ersehnt. Wohl und Weh anzunehmen wie es ist und wie und wann es kommt, das ist eine hohe Lebenskunst. Es ist möglich, diese Lebenskunst zu erlernen.

Diese Kunst des Lebens führt zu dem, wofür Jesus in folgenden   Worten   gebetet   hat:   „…dass  sie  eins  seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie zu vollendeter Einheit gelangen“.[5] Das Erleben dieser Einheit des Seins, das ist der gnadenhaft geschenkte himmlische Lohn für das Gehen des wahren Lebensweges. Da ist nicht mehr ein Vatergott aussen oder oben oder auch innen getrennt von dir. Da ist kein Sohn, kein Mittler zur Wahrheit irgendwie getrennt von dir. Vater und Sohn, Gott und Christus, oder welche Bilder, Symbole und Namen du auch immer verwendest um Wahrheit und Höchstes zu bezeichnen, sie alle beschreiben dein eigenes wahres Sein, den Weg des wahren Lebens, der genau so ist, wie du ihn gehst.

Das neue Leben im Geist ist das Leben frei von Schuld und Angst. Die Freiheit ist dir gegeben zu leben, auch mit Fehlern und Irrtümern. Sprich weder dich selber noch andere schuldig, wenn sie irren und Fehler machen. Schüre nicht irrationale Ängste durch Drohungen mit Verlorenheit, Verdammnis und unaufhörlichen Höllenqualen. Erkenne das Leben als ein Lernfeld. Nur wo kein Lernen stattfindet gibt es keine Irrtümer, gibt es keine Fehler. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wo gelebt wird, da wird Wohl und Weh erzeugt. Es ist genug, dass du auf die innere Stimme der Wahrheit hörst, die Frieden, Liebe und Freiheit für alle Wesen möchte, auch für dich, und wenn durch dein Gehen dieses Weges Schlimmes geschieht, für dich selber oder für andere, dann vergib’ dir dieses Schlimme im Angesicht der Wahrheit des Geschehenen. Es kann nichts rückgängig, kein Geschehen ungeschehen gemacht werden, aber es kann in Aufrichtigkeit und Freiheit weitergegangen, weitergelebt werden. Das tue.

Trug und Schein ist überall dort, wo Vergängliches als unvergänglich, Leidunterworfenes als leidfrei und Selbstloses als selbstbezogen benannt wird. Das kraftvolle Leben in der Seinsrealität erkennt dagegen klar Vergängliches als vergänglich, Leidunterworfenes als dem Leiden unterworfen und Selbstloses als selbstlos. Das mag banal klingen, aber wenn du den Unterschied dieser beiden Erlebensweisen zu erfahren beginnst, dann wird dir mehr und mehr deutlich, wie gross die Kluft zwischen den beiden ist. Die eine Erlebensweise leidet am Sein, die andere ist vom Leiden am Sein befreit. Aller Lebenstrug und aller Lebensbetrug findet ein Ende, der Schein muss der Wirklichkeit weichen, der Anschein von Leben dem wahren Leben.

Die Erkenntnis der Freiheit alles Existierenden von einem Besitzer führt das Leben ins Licht und macht es leicht. Kein Gegenstand und kein Lebewesen hat einen Besitzer. Somit ist auch kein Ding und kein Wesen Besitz von jemandem, sei dieser Jemand menschlich oder göttlich vorgestellt. Du bist frei insoweit, als du noch nicht einmal ein Ich als Besitzer deines Erlebens dir vorstellst. Dein Erleben ist frei insoweit, als du es nicht als Besitz eines Ichs erkennst. Die Selbstsucht, die Ichbezogenheit ist die grosse Illusion, der grösste Trug und Betrug am Leben. Es gibt kein Ich, dem das Leben gehört, es gibt nur das Leben selbst und die Freiheit des Seins.

Die Freiheit ist nun wiederum kein Gott, keine Göttin, und wenn du die Freiheit des Seins auf diese Weise personifizierst und zu einem Wesen oder Ding ‚an sich’ machst, dann bist du bereits wieder in die alte Falle getappt. Es gibt kein Ding, auch kein Wesen an sich, das von allen andern Dingen wie abgelöst wäre. Freiheit erleben kannst du bedingt, nicht unbedingt. Die Bedingungen für das Erleben von Freiheit als auch von Unfreiheit liegen einzig in deiner Wahrnehmung der Existenz. Anerkennst und akzeptierst du die Gesetzmässigkeiten, dann ist Freiheit möglich, sonst nicht.

Was auch immer dir gegenüber tritt, ob ein Wesen oder eine Sache, das ist deine Freiheit. Dein Nächster, das Du, ist das Tor zu deiner Freiheit. Erkenne ihn und nimm ihn an wie er ist, und du bist in der Beziehung zu ihm augenblicklich frei. Durch dein Gegenüber, durch dein Du kannst du frei sein. Das Du kann auch eine Sache sein oder eine Arbeit: Erkenne sie wie sie ist und nimm sie und auch dich selber in der Beziehung zu ihr genau so an wie sie ist und wie du bist, und du bist augenblicklich frei. Freiheit bedeutet frei sein von Verblendung und Illusion bezüglich der Wirklichkeit, eine andere Freiheit als diese gibt es nicht. Erkenntnis der Wirklichkeit ist Freiheit.

Diese Freiheit in die du durch dein Du, im Grunde durch eine jegliche deiner Wahrnehmungen, gelangen kannst, liegt in dir verborgenen in dem Sinn, als ihre Bedingungen durch eben deine Wahrnehmung, das heisst, durch dein wertendes Benennen des Erlebens geschaffen werden. In der Freiheit von aller Illusion bezüglich des Seins liegt eine grosse Ruhe, liegt die Gestilltheit allen Mangels. Die christlichen Mystiker sprechen vom „Seelenfrieden“, andere sprechen von „Gemütsruhe“, von „Geistesruhe“ und von „Herzenseinigung“. Diese Ruhe ist nicht möglich, solange Tod, Leiden und Selbst nicht erkannt und durchschaut sind. Im erkannten Erleben von Tod, Leiden und Selbst aber, im eigenen wie im fremden, da liegt die intuitive Erfahrung des Todlosen, Leidlosen und Selbstlosen. In dieser intuitiven, im eigenen erkannten Erleben begründeten, also nicht bloss gedanklichen, Einsicht besteht die Freiheit.

Da bist du durch Begriffe, Bilder und Symbole nicht mehr zu fassen. „Da bist du alles und bist nichts und als dieses Kind des Lichts“ ist eine poetische Darstellung des Seins in Freiheit, das eigentlich nicht dargestellt, das in keiner Weise angemessen beschrieben werden kann. Die Bibel spricht von „Gott alles in allen“.[6] Heutige Menschen sprechen davon auch als vom „Christusbewusstsein“ oder von der „Buddhanatur“.



[1] Tagebuch, 3. April 2007

[2] Bibel, Joh 10,27

[3] Iwan S. Turgenjew, Zitat gefunden auf einer Postkarte

[4] Palikanon, Samyutta Nikaya 36,6 (254 Salla Sutta)

[5] Bibel, Joh 17,22-23

[6] Bibel, 1.Kor 15,28