Wer die Liebe ist

 


Zum (Mundart-) Lied 
I WEISS NID WAS LIEBI ISCH 
(CD "Uelis Schrot" 2007)




6       Wer die Liebe ist

 

Dich will ich sehen, dich will ich fühlen, deine Liebe, deine Vergebung, deinen Frieden will ich erleben. Denn du bist wirklich, du bist real. Nicht eine Fiktion will ich sehen, keine eingebildeten Empfindungen will ich fühlen, keine fiktive Liebe und Vergebung will ich mir selber einreden oder mir von anderen einreden lassen, keinen nur gedachten Frieden will ich erleben. Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben, dich will ich erleben. Dich will ich erleben und genauso wie du bist, denn nur so bist du echt, nur so bist du wirklich, nur so bist du wahr.

„Nicht wer mir folgt, wer seinen eigenen Weg geht ist mein Begleiter“, hat Mohsen Charifi in einem Gedicht geschrieben[1]. Wenn du klarbewusst deinen Weg gehst, dann verdienst du mein Vertrauen. Nicht dass ich dir alles glaube, was du sagst, in dem Sinne, dass ich alles was du äusserst für bare Münze nehme, und nicht dass ich dir nachfolge auf deinem Weg: Ich folge dir darin nach, dass, wie du den deinen Weg gehst, ich den meinen gehe. Mein Vertrauen, mein Glaube, betrifft deinen Weg für dich ebenso wie den meinen für mich.

Als Weg des wahren Lebens bist du immer bei mir. Darin sind wir nicht unterschieden voneinander. Es ist schön, zu wissen, dass es dich gib, dich, den Weg, die Wahrheit und das Leben.

In allem Leben, in allem Lebendigen offenbart sich der Weg des wahren Lebens. Deshalb kannst du in keinem seienden Leben deinen Feind entdecken, und so hast du keine Feinde mehr. Du hast keine Feinde mehr, weil du selber allem Freund bist. Dieses bedingungslose Vertrauen in die Wirklichkeit kann niemals mehr enttäuscht werden, weil es auch alle Schmerzerfahrung mit einschliesst und nicht mehr der Illusion unterliegt, es gäbe ein unvergängliches, leidloses, personales Einzelleben. Ein solcher unerschütterlicher Glaube besteht nicht im Fürwahrhalten von etwas, sondern in der tiefen und als Wahrheit erkannten Erfahrung von Vergänglichkeit, Leid-unterworfenheit und selbstloser Bedingtheit.

Stille Freude ist eine Freude, die in der Ergriffenheit durch den Weg des wahren Lebens besteht. Du wirst von der Wirklichkeit ergriffen, alle Lüge, alle Illusion fällt von dir ab und du erkennst es. Es ist das Erleben der Wahrheit, von der Jesus sagte, dass sie dich frei machen wird. Diese stille, innere Freude am Weg, an der Wahrheit, am Leben wird dich nie mehr verlassen. Selbst in der Erfahrung von Schmerz und Leid ist diese stille innere Freude immer noch da, einfach aus dem Grunde, weil auch Leid und Schmerz wahr sind und somit dem Weg des wahren Lebens zugehörig.

Die Liebe, das bist du. Das ist vielleicht noch nicht deine Erkenntnis, aber wenn du Liebe suchst, dann suche sie nirgendwo sonst als in dir.

Zwinge dich nicht zur Liebe, das ist unmöglich. Wenn du möglicherweise kaum dich selber zu lieben fähig bist, wie willst du dir die Liebe zu deinem Nächsten oder gar zu deinem Feind anbefehlen? Das ist nicht möglich. Liebe kann überhaupt nicht befohlen, nicht angeordnet, auch nicht geboten werden, denn Liebe ist frei strömende Wahrheit dort, wo die Pforten des Herzens geöffnet sind, dort, wo sie nicht mehr in Schranken gehalten, nicht mehr unterdrückt wird. Die Liebe findest du in dir, nirgendwo sonst. Aber bevor du sie findest, wirst du wahrscheinlich zuerst Türen öffnen, vielleicht Wände einreissen und dich aus gläsernen Gefängnissen befreien müssen. Ich bin ein Mensch wie du, wie jeder andere, und wenn die Liebe, wenn der Weg des wahren Lebens mein wahres Sein ist, dann ist dies auch bei dir und bei jedem anderen Menschen so.



[1] Mohsen Charifi: „Bis wir das begreifen, was wir schon immer wussten“ (Mohsen Charifi Verlag 1998)