Der
Körper
Ist der Körper nicht bemeistert, so ist
auch der Geist nicht bemeistert; ist der Körper bemeistert, so ist auch der
Geist bemeistert. Dies eine Ding, entfaltet und häufig geübt, führt zu tiefer
Ergriffenheit, zur Hohen Sicherheit, zu Achtsamkeit und Wissensklarheit, zum
Erlangen des Erkenntnisblickes, zu gegenwärtigem Glückszustand, zur
Verwirklichung der Wissens-befreiung und des Befreiungszieles. Welches eine
Ding? Die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit.[1]
In meiner Bibel findet sich der Begriff „Körper“ gerade ein einziges Mal. Dagegen finden wir den Begriff „Fleisch“ rund 70 Mal, er bezeichnet jedoch nicht die blosse Tatsache der Körperlichkeit, sondern ist meist verknüpft mit Vorstellungen von sündhafter Begierde und von einer Feindschaft zwischen Geist und Körper. Begierde aber ist ein Geisteszustand, eine Emotion, diese kann sich sehr wohl des Körpers zur Erlangung ihrer Wünsche bedienen, der Körper an sich ist aber völlig neutral und in keiner Weise unethisch oder gar sündig.
Der Körper ist die wichtigste Grundlage unserer Achtsamkeits-schulung. Ein zentrales körperliches Geschehen, das ohne unser willentliches Zutun abläuft, ist die Atmung. Sie bildet unser Hauptmeditationsobjekt. Ein zweiter Gegenstand der Körperachtsamkeit ist die Körperhaltung. Achtsames Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen. Der dritte Bereich sind die körperlichen Aktivitäten in Wort und Tat. Jeder körperliche Ausdruck wird der klarbewussten Achtsamkeit zugänglich gemacht.
Mirko Frýba nennt das Ergebnis der dem Körper zugewandten Achtsamkeit die „körperliche Wirklichkeitsverankerung“. Er schreibt, dass das unmittelbar körperlich Erlebte den zuverlässigsten Wirklichkeitsbezug darstellt und dass die Körperachtsamkeit uns den Schlüssel zur körperlichen Wirklichkeitsverankerung gibt. Er sagt weiter:
Diese Übungen rüsten uns mit Fertigkeiten aus, die
uns in jeder Alltagssituation befähigen, eine sichere Verankerung in der
gegenwärtig vorhandenen Lage zu gewinnen und aus dieser Verankerung heraus
realistisch und wirksam zu handeln. Die Strategien der Wirklichkeitsverankerung
befassen sich mit Merken, Fühlen und Erleben. Sie sind keine eigentlichen
Handlungsstrategien, die sich mit dem Ausführen von Tätigkeiten und dem
Behandeln von Gegenständen befassen, sondern vielmehr Wahrnehmungsstrategien,
die das Erleben in seiner Wahrhaftigkeit und Glücksfähigkeit stärken sollen.
Zweck der Übungen ist es, unser Denken, Sprechen und Handeln im Alltag
kompetent zu nutzen. Dabei ist es wichtig, was wir nutzen und wie wir es
nutzen. Das wahre Sprechen, wahre Denken und wissensklare Handeln kann besser
genutzt werden, als jenes ohne Wirklichkeits-verankerung…
Unsere sprachlich zerstückelte Wirklichkeit wird im körperlichen Erleben wieder zu einem Kontinuum, wenn wir das Körperbewusstsein kultivieren. Darin gründet die grosse Chance der körperorientierten Psychotherapien und Meditationsmethoden. Indem sie das Erleben organisch gliedern und zusammenfügen, ermöglichen sie auch eine Umstrukturierung und Neugestaltung der Welt. Je achtsamer das Körper-erleben fliesst, desto differenzierter und gebundener ist das Kontinuum, der lückenlose Zusammenhang der Wirklichkeit. Die ernsthafte Beachtung des Körperlichen und Körpergebundenen bringt also auf dem Weg zur Befreiung und zum Glück vielerlei Vorteile. Diese werden uns direkt erkennbar, sobald wir einige konkrete Techniken der Körperachtsamkeit ausüben…
So paradox es vielleicht klingt, die Intelligenz
des Körpers hat einen durch nichts anderes zu ersetzenden Wert für
die Befreiung des Geistes.[2]
[1] Palikanon, Majjhima Nikaya, Satipatthana Sutta
[2] Mirko Frýba: Anleitung zum Glücklichsein“ (Bauer 1987)