Die schützende Hand

 



5       Die schützende Hand

 

Im Gefängnis aus Glas, eingekerkert in ein durch Erziehung, Schule, Kultur und nicht zuletzt durch deine eigenen Vorstellungen geprägtes Weltbild. Auch wenn du dir dessen nicht bewusst bist: Du lebst gemäss einem Weltbild. Du musst dich weder religiös noch sonst wie ideologisch identifizieren, dennoch hast du ein Weltbild. Dieses Weltbild ist die Welt, in der du lebst. Dieses Weltbild ist die Wand, vor der du stehst und die dich vom wahren unmittelbaren Erleben abhält. Alles erlebst du durch die Brille deines konditionierten Weltbildes und gemäss diesem Weltbild nimmst du die Welt wahr und reagierst auf sie.

Wenn du den Unterschied erkennen und erleben möchtest zwischen einem Leben aus zweiter Hand und einem echten unmittelbaren Erleben, dann kommst du nicht darum herum, dich deinem Weltbild zu stellen, es kennenzulernen. Denn nur was du kennst, kannst du allenfalls auch willentlich verändern. Dein Weltbild ist konditioniert, es ist jahrelang eingeübt, von Kindheit an. Du kannst, wenn du willst, die Konditionierung aufheben, da, wo du unheilsame Konditionierungen erkennst. Du kannst dich neu konditionieren, in Liebe und Weisheit, dann wirst du anders auf deine Erlebenswelt reagieren als heute. Und schliesslich kannst du es lernen auf die vermeintliche Sicherheit von Konditionierungen zu verzichten und immer wieder auch in der Unmittelbarkeit der Erfahrung zu leben, im Hier und Jetzt.

Eine auf einem Weltbild erbaute – vor sich hingestellte – Zukunft ist immer auf Sand gebaut. Das Weltbild, die Ideologie mag noch so edel sein, sie ist dennoch reine Fiktion. Das Weltbild ist niemals die Wirklichkeit, der Unterschied ist derselbe wie der zwischen dem Wegweiser und dem Weg oder dem zwischen der Speisekarte und der Speise. Du kannst dich beim Wegweiser unten im Tal niederlassen, der zur Bergspitze verweist, und dir einreden, du seihst am Ziel. Du kannst die Speisekarte verzehren und dir einreden, du hättest die Speise genossen. Bei genügend Wahn wirst du es sogar schaffen, die Illusion deines Tuns nicht zu durch-schauen. Aber ein solches Tun bietet kein Fundament für ein echtes Leben. Wenn dein Leben auf deinen Vorstellungen von Zukunft gründet, dann wird der Strom des wahren Lebens dieses auf Sand gebaute Fundament früher oder später mit Leichtigkeit mit sich reissen. Bist du jetzt nicht bereit, deine Illusionen fahren zu lassen, dann wirst du es durch solche Erfahrungen lernen müssen. Das ist nicht weiter schlimm, kann aber sehr schmerzhaft sein.

Getrieben zu sein, getrieben nicht zu sein, getrieben zu rauschhaftem Sinnenerleben, getrieben zu Dogmatismus… getrieben ohne Möglichkeit diesem Drang irgendetwas entgegenzusetzen oder ihn irgendwie zu kanalisieren. Vielleicht rechtfertigst du, wie ich es getan habe, dieses getriebene Leben mit dem Hinweis auf deine Freiheit. Aber das ist keine Freiheit, sondern Sklaverei. Du bist eine Marionette in der Hand deiner Triebe. Die wahre Freiheit ist genau das, was du zutiefst fürchtest, denn die wahre Freiheit bedeutet die völlige Verantwortung über das Leben zu übernehmen. Nicht nur über dein Leben, über alles Leben. Du schiebst die Verantwortung andauernd irgendwo hin, sprichst sie deiner Mutter, deinem Vater zu, der Gesellschaft, Gott, deinen Trieben, deinem Charakter, und genau dadurch versklavst du dich selber an jene oder an jenes, dem du die Verantwortung für dein Erleben in die Schuhe schiebst. Du bist ein Sklave und bleibst es solange, bist du bereit bist eigenverantwortlich zu leben.

Die Schattenstimmen, der dich rufende dunkle Abgrund, sie blenden durch verlockende Versprechungen und gemalte illusionäre Bilder voller süsser Verheissungen deinen Verstand und benebeln dein Bewusstsein, so, dass du nicht mehr klar zu sehen und nicht mehr folgerichtig zu denken vermagst. Das Dunkel ist ein Blender.

Achte auf die Stimmen und auf ihren Klang! Stimmen des Lichts befreien den Körper, die Gefühle, das Herz, den Geist. Stimmen des Dunkels versklaven den Körper, ersticken die Gefühle, lassen das Herz frieren und den Geist verbittern. Das kannst du wahrnehmen wenn du wach bist, achtsam und bewusstseinsklar.

Die Gesetzmässigkeiten des Lebens sind wie eine schützende Hand. Sobald du sie erkennst und den Widerstand aufgibst, dienen sie dir. Solange du ihnen widerstrebst, sie ablehnst, gegen sie aufbegehrst und gegen sie ankämpfst, stehst du auf verlorenem Posten.

Du musst nicht den Gesetzen dienen, wie es die institutio-nalisierten Religionen und der Staat von dir fordern. Dass eine solche Forderung nicht aus der Wahrheit kommt erkennst du wiederum in den Empfindungen, die sie in dir auslöst.

Die Lebensgesetze dienen vielmehr dir. Deshalb lerne sie kennen und füge dich in sie ein, dann wirst du sie als eine schützende Hand über deinem Leben kennen lernen und das Wort „Gesetz“ erhält eine völlig neue Bedeutung für dich.

Das einzige Immer, das existiert, ist das Immer hier und jetzt. Es ist immer hier und jetzt. Es ist nie gestern oder morgen. Gestern und morgen können nur in Vorstellungen erlebt werden, niemals in der körperlichen Realität hier und jetzt. Immer bei dir zu sein bedeutet hier und jetzt im Strom des wahren Lebens zu leben. Nicht mehr alleine sein heisst in die Ganzheit des Lebens eingebettet zu sein. Echte Sicherheit ist nicht die Sicherheit von Versicherungen und Kapital, sondern sie besteht in der Unmittelbarkeit des Erlebens hier und jetzt. Dieses unmittelbare Erleben hier und jetzt ist das einzige, was dir solange du lebst nicht genommen werden kann. Nicht ein zeitlich und räumlich fernes, vergangenes oder zukünftiges Paradies, das Hier und Jetzt ist dein wahres Zuhause.